Martin Luther, Eine kurze Unterweisung, wie man beichten soll (1519) – mit Bezug auf die Zehn Gebote

Eine kurze Unterweisung, wie man beichten soll (1519)

Von Martin Luther

1. Jeder Christ, der beichten will, soll sein allergrößtes Ver­trauen auf die allerbarmherzigste Verheißung und Zusage Got­tes setzen und fest glauben, daß der allmächtige Gott ihm seine Sünde aus Barmherzigkeit vergeben wird. Denn der heilige Pro­phet sagt Ps. 25,11: „O Herr, du wirst mir meine Sünde um deines Namens willen gnädig vergeben.“ Außerdem kann je­dermann weitere Erinnerung daran aus dem Gebet des Königs Manasse von Juda entnehmen. Weil dieses Gebet sehr gut zum Beichten hilft, mag es jeder Christ vor seiner Beichte spre­chen. Darum soll dieses Gebet nachher abgedruckt werden.

2. Jeder Christ soll, ehe er seine Sünde dem Priester beichtet, seine Beichte sehr eifrig vor Gott dem Herrn ablegen. Er soll seiner göttlichen Majestät alle seine Fehler und Sünden und wie er gestaltet, beschaffen und gesittet ist, klar und nichts verbergend und nicht anders erzählen und mitteilen als rede er mit einem seiner allervertrautesten Freunde. Er muß Gott auch seine sündhaften bösen Gedanken, soweit er sich erinnern kann, beichten.

3. Jeder Christ, der seine Sünden beichten will, soll den wirkliehen Vorsatz und Willen haben, in Zukunft sein Leben zu bes­sern und sich der Sünden, die offenbar Todsünden sind – wie Ehebruch, Mord, Diebstahl, böse Nachrede, Habgier, Un­keuschheit, Raub und dergleichen-, zu entschlagen. Ja, diesen Vorsatz muß der Mensch haben, sobald er eine der genannten Sünden vorgebracht hat. Denn wenn ein Mensch ohne diesen Vorsatz beichtet, ist es gefährlich und unsicher. Wenn aber ein Mensch bei sich findet, daß er keinen rechten Vorsatz hat, sein Leben zu bessern, soll er auf seine Knie fallen und Gott um einen guten Vorsatz bitten und sprechen: ‚O, mein Gott und Herr, ich habe jetzt das nicht, was ich haben muß. Ich vermag es auch nicht. Darum bitte ich dich, du wollest mir das gnädiglich geben, was du gebietest, und mir gebieten, was du willst.‘

4. Soll man die Sünden des Herzens, die verborgen und allein Gott bekannt sind, beichten, muß man die verborgenen Sünden beichten, die der [60] Mensch gerade gegen Gottes Gebot bei sich beschlossen hat zu begehen. Denn es ist unmöglich, den Vorsatz zu haben, die Sünde, die die tägliche [lässliche] Sünde genannt wird, zu meiden, denn die Zuneigung des männlichen und weib­lichen Geschlechts zueinander hören nicht auf. Auch ruht der Teufel nicht. Außerdem ist unsere Natur ganz sündhaft.

5. Ein Mensch muß davon überzeugt sein, daß es ihm nicht möglich ist, alle seine Todsünden ins Gedächtnis zu rufen und zu beichten. Er soll vielmehr denken, daß er nach aller aufge­wandten Mühe den geringsten Teil seiner Sünden gebeichtet hat. Denn es sagt der Prophet in einem Psalm (Ps. 51,4): „O Herr, mache mich rein von meinen verborgenen Sünden.“ und in einem anderen Psalm (Ps. 19,13): „Wer versteht die Sünde?“ Darum soll der Mensch die Todsünden beichten, die offenbar Todsünden sind und die sein Gewissen zur Zeit seiner Beichte beschweren. Um die anderen soll ersieh keine Gedan­ken machen. Denn es ist unmöglich, daß der Mensch alle seine Todsünden beichten kann, weil auch unsere guten Werke, wenn sie Gott mit seiner Strenge und nicht mit seiner gütigen Barm­herzigkeit richtet und beurteilt, todbringend und verdammenswürdig sind. Soll man aber dennoch alle Todsünden beichten, so kann es mit den nachfolgenden kurzen Worten geschehen: ‚Ja, mein ganzes Leben und alles, was ich tue, ausführe, rede und denke, ist so beschaffen, daß es todbringend und verdammenswürdig ist.‘ Denn wenn ein Mensch dächte, er sei ohne Todsünde, wäre das die todbringends­te Todsünde.

6. Ein Mensch, der beichten will, soll sich um die weitläufi­gen und vielfältigen Unterschei­dungen der Sünde und ihrer Umstände keine Gedanken machen und sich allein um die Ge­bote Gottes bemühen und diese sich vornehmen und durch­gehen und seine Beichte darauf ausrichten und kurz machen. Denn wenn man die Gebote Gottes recht ansieht, findet man darin, wie Gott von uns durch allerlei Sünden preisgegeben, verachtet und erzürnt worden ist.

7. Man soll einen großen Unterschied machen zwischen den Sünden, die gegen die Gebote Gottes, und denen, die gegen die Gebote und Gesetze der Menschen geschehen sind. Denn ohne die Gebote Gottes kann kein Mensch selig werden, aber ohne die Gebote der Menschen kann man durchaus selig werden.

8. Wenn man beichten will, soll man sogleich nur die Zehn Gebote Gottes sich vornehmen und sagen, wie man dagegen gesündigt hat, nämlich folgendermaßen:

Gegen das erste Gebot Gottes „Du sollst an den einzigen Gott glauben

  • Weil man Gott nie richtig geliebt, geehrt noch gefürchtet hat.
  • Weil man in Not bei Zaubern und Zauberinnen Rat gesucht hat.
  • Weil man ohne Notwendigkeit Gott versucht und sich in Gefahr für den Leib und die Seele begeben hat.
  • Weil man in Dingen und Handlungen den Vorzeichen und dem Rat der Astrologen geglaubt hat. [61]
  • Weil man gezaubert hat.
  • Weil man auf Glücks- und Unglückstage geachtet hat.
  • Weil man sich mit dem Teufel verbündet hat.
  • Weil man das Unglück dem Teufel oder den bösen Men­schen zugeschoben hat.
  • Weil man geglaubt hat, daß Bilder, Amulette und Kräutergegen Gefahren und Unglück helfen.
  • Weil man nicht geglaubt hat, daß alle guten Dinge und alles Gelingen nur von Gott kommen.
  • Weil man nicht geglaubt hat, daß im Unglück nur Gott helfen kann.
  • Weil man unter Vergessen des Seelenheils die lieben Heili­gen nur um zeitlicher Güter und Freuden willen ehrt und anruft.
  • Weil man die Geschöpfe und die geschaffenen Dinge höher geliebt und mehr gefürchtet hat als Gott.
  • Weil man sich selbst gefallen hat und auf seine Gerechtig­keit, Weisheit oder andere Fähigkeiten stolz ist.
  • Weil man mit Hochmut gesündigt hat.
  • Und weil man mit diesen Sünden gegen den Heiligen Geist gesündigt hat.

Gegen das zweite Gebot Gottes „Du sollst den Namen Gottes nicht mißbrauchen

  • Weil man Gott und seine lieben Heiligen gelästert hat.
  • Weil man nie die Ehre Gottes, sondern nur die eigene Ehre, Lob und Ruhm gesucht hat.
  • Weil man aus böser Gewohnheit und ohne Grund falsch schwört.
  • Weil man zu Unrecht schwört.
  • Weil man unrechte Gelübde ablegt oder rechte Gelübde bricht.
  • Weil man von Gott oder von seinen Heiligen und der gött­lichen Schrift im Spott redet.
  • Weil man in Not nicht den Namen Gottes anruft und im Glück ihm nicht dankt.
  • Weil man sich der göttlichen Gaben rühmt und Lob von den Menschen sucht.
  • Daß man mit Hochmut gesündigt hat, kann auch zu diesem Gebot gezogen werden.

Gegen das dritte Gebot Gottes ,,Du sollst den heiligen Tag feiern

  • Weil man Gott dem Herrn nicht durch Gebet, Messe und Pre­digthören und demütiges Seufzen über die Sünde Platz und Raum gegeben hat.
  • Weil man an Feiertagen getanzt, gespielt und tugendlose Werke mit überflüssigem Essen und Trinken und Faulenzen ge­trieben hat. [62]
  • Weil man an Feiertagen leichtfertigen Handlungen nach­gegangen ist und unnützes Geschwätz, Umherlaufen, Umher­ziehen und Reisen getrieben hat.
  • Weil man an Feiertagen gegen das Gebot der Kirche ohne Notwendigkeit gearbeitet und sich betätigt hat.
  • Weil man nur ein erdachtes Fest ohne Nutzen für die Seelen nur mit Essen, Trinken und Kleidung gehalten hat.
  • Und weil man mit der Trägheit im Dienste für Gott gesündigt hat. Diese Sünde ist auch gegen alle anderen Gebote Gottes.

Gegen das vierte Gebot Gottes „Du sollst deine Eltern ehren

  • Weil man den Eltern weder gehorsam gewesen ist noch ihnen Ehre und Liebe erwiesen hat.
  • Weil man den Eltern in ihrer Schwachheit, Not und Armut nicht geholfen und sich ihrer geschämt hat.
  • Weil man die Eltern erzürnt, geschlagen oder ihnen Böses nachgesagt hat.
  • Weil man den Geboten der Kirche ungehorsam gewesen ist.
  • Weil man die Pfarrerschaft nicht geehrt hat.
  • Weil man die Fürsten, Herren, Ratsherren und alle, die Obrig­keit sind, sie seien gut oder böse, nicht in Ehren gehalten hat.
  • Weil man sich in Ketzerei und andere Handlungen des Unge­horsams gegen die christliche Kirche begeben hat.

Gegen das fünfte Gebot Gottes ,,Du sollst nicht töten

  • Weil man Mord mit der Tat, mit Rat oder mit Befehl begangen hat.
  • Weil man mit Vorsatz dem Nächsten gezürnt und gegen ihn Zeichen eines tödlichen Zornes erwiesen hat.
  • Weil man den Nächsten gelästert, geschmäht, in Verruf ge­bracht, verhöhnt oder verdächtigt hat.
  • Weil man einen unfreundlichen Unwillen gegen den Nächsten getragen hat.
  • Weil man neidisch und gehässig gewesen ist.
  • Weil man zornig gewesen ist.
  • Weil man gezankt und gestritten hat.
  • Weil man Krieg angerichtet und geführt hat.
  • Weil man geraubt hat.
  • Weil man die Werke der Barmherzigkeit nicht geübt hat.
  • Weil man die Feinde nicht geliebt hat.
  • Weil man den Feinden nicht vergeben hat.
  • Weil man für die Feinde nicht gebetet hat.
  • Weil man den Feinden nichts Gutes erwiesen hat. [63]

Gegen das sechste Gebot Gottes ,,Du sollst nicht die Ehe bre­chen

  • Weil man Ehebruch und andere Unkeuschheit, wie sie auch geschehen mag, geübt und getrieben hat.
  • Weil man nach schändlichen, unzüchtigen und unkeuschen Worten, Liedern, Geschichten und Bildern Verlangen und Wil­len gehabt hat.
  • Weil man mit unzüchtigen Gesten, Blicken, Zeichen oder Schriften Unkeuschheit erregt oder verursacht hat.
  • Weil man mit überflüssigem Schmuck der Kleidung sich selbst oder andere Leute zu Unkeuschheit veranlaßt hat.
  • Weil man mit Gedanken endlich eingewilligt hat, Unkeusch­heit zu treiben.
  • Weil man Völlerei, Saufen, Faulenzen und andere Ursachen zur Unkeuschheit nicht gemieden hat.
  • Weil man fremde Jungfrauenschaft und anderer Leute Keuschheit nicht geehrt und bewahrt hat.
  • Weil man mit allen fünf Sinnen und mit allen Gliedern un­keusch gewesen ist.
  • Weil man mit unnennbaren Sünden gesündigt hat.

Gegen das siebente Gebot Gottes „Du sollst nicht stehlen

  • Weil man gestohlen hat.
  • Weil man geraubt hat.
  • Weil man sich am allgemeinen Nutzen bereichert hat.
  • Weil man sich an Kirchen bereichert hat.
  • Weil man jemandes Knecht entführt hat.
  • Weil man jemandes Vieh weggetrieben hat.
  • Weil man Geld gegen Zinsen verliehen hat.6
  • Weil man betrügerisch gehandelt hat.
  • Weil man falsche Maße oder falsche Gewichte verwendet hat.
  • Weil man zu Unrecht Erbgüter besitzt oder angenommen hat.
  • Weil man habgierig war.
  • Weil man dem Nächsten nicht umsonst geliehen hat.
  • Weil man die Werke der Barmherzigkeit nicht geübt hat.

Gegen das achte Gebot Gottes ,,Du sollst kein falsches Zeug­nis geben

  • Weil man vor Gericht die Wahrheit verschwiegen hat.
  • Weil man böswillig gelogen hat. [64]
  • Weil man gelobhudelt und geschmeichelt hat.
  • Weil man zwischen den Menschen Uneinigkeit, Zwietracht und Unfriede gestiftet hat.
  • Weil man des Nächsten Wort, Leben und Werk böse gedeu­tet und ausgelegt hat.
  • Weil man den Verleumdern Raum und Beistand gegeben und erwiesen hat.
  • Weil man den Nächsten nicht in Schutz genommen hat.
  • Weil man den bösen Zungen nicht mit Strenge begegnet ist.

9. Die zwei letzten Gebote Gottes, nämlich das neunte „Du sollst deines Nächsten Frau nicht begehren“ und das zehnte „Du sollst deines Nächsten Gut nicht begehren“, legen die an­deren Gebote Gottes aus, denn sie gebieten, die Erbsünde zu überwinden, was in diesem Leben nicht geschehen kann. Darum sagt der heilige Paulus Röm. 7,19: „Das Böse tue ich, das ich nicht will.“ und Gal. 5,17: „Das Fleisch streitet gegen den Geist.“ Denn kein Mensch ist in diesem vergänglichen Le­ben vollkommen rein von unreinem Begehren und von der Hab­sucht.

10. Die Quintessenz besteht darin, daß die Menschen selig sind, die ihr Vertrauen auf Gott setzen und sonst weder auf ihre Werke noch Geschöpfe. Deshalb soll der Mensch lernen, größeres Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit als auf seine Beichte und seine Anstrengungen zu setzen. Denn man kann nicht zuviel gegen das verfluchte Vertrauen auf unsere Werke tun, vornehmen und vorbringen. Darum sollen wir unser Gewis­sen daran gewöhnen, Gott zu vertrauen, wenn das alles in der Überzeugung geschieht, daß es Gott sehr angenehm ist, daß man ihm glaubt und vertraut, und daß es seine Ehre ist, daß wir auf Gottes Barmherzigkeit aufs allerstärkste vertrauen.

Das „Gebet des Königs Manasse“, das für die Beichte sehr hilfreich ist

„O Herr, Allmächtiger, Gott unsrer Väter Abraham, Isaak und Jakob (2 Mose 3,6) und ihrer gerechten Nachkommen, der du Himmel und Erde mit allem ihren Schmuck geschaffen hast, der du das Meer mit dem Wort deines Gebotes gezeichnet hast, der du die Tiefe und Strudel des Meeres festgesetzt (Hiob 38,8-11) und deinen herrlichen Namen angezeigt hast (5. Mose 28,58f.), vor dem alle Menschen erschrecken und vor dessen Angesicht, Stärke und Kraft sie erzittern, denn der Zorn deiner Drohung über die Sünde ist nicht zu ertragen. Aber die Barmherzigkeit deines Versprechens und deiner Verheißung ist unermeßlich und unerforschlich, denn du bist der allerhöchste Herr über die ganze Erde. Du bist geduldig, gütig und sehr barmherzig und hast Mitleid mit der Bosheit der Menschen (2. Mose 34,6f.). O mein Herr, du hast uns aus deiner Güte die Vergebung der Sünden verheißen. Du, Gott der Gerechten, hast die Buße nicht für die Gerechten wie Abraham, Isaak und Jakob (1. Mose 15,6) eingesetzt, die nicht gesündigt haben. Ich habe gesündigt. Meine Ungerech-[65]tigkeiten sind zahlreicher ge­worden als die Zahl der Sandkörner am Meer. Ich bin mit vielen Eisenbändern gekrümmt worden und finde keine Ruhe, denn ich habe dir Ursache zum Zorn gegeben und viel Böses vor dir getan (2. Chron. 33,1-10). Ich habe grauenhafte Dinge getan und die Beleidigung vervielfältigt. Nun aber beuge ich die Knie meines Herzens und bitte deine Güte. O Herr, o Herr, ich habe gesündigt, ich habe gesündigt, ich habe gesündigt, und ich er­kenne meine Ungerechtigkeit. Ich bitte dich, o Herr, vergib mir meine Sünde. Vertilge mich nicht mit meinen Ungerechtigkei­ten und behalte mir das Böse nicht ewig, denn du wirst mich Unwürdigen um deiner großen Barmherzigkeit willen selig ma­chen. Und ich werde dich loben alle Tage meines Lebens. Denn dich lobt das ganze Himmelsheer, und du hast Ruhm, Lob und Ehre für immer und ewig. Amen.“

WA 2, 59-65, übertragen von Helmar Junghans.