Bußruf der Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union an die Gemeinden zum Buß- und Bettag 1943
Durch unser Volk und selbst durch unsere evangelischen Gemeinden und christlichen Familien geht eine große, ständig wachsende Unsicherheit darüber, ob die heiligen Zehn Gebote Gottes noch gültig sind. Viele lassen sie nicht mehr in ihrem unerbittlichen Ernst gelten, nicht wenige verwerfen sie offen. Auch wird verschwiegen oder geleugnet, daß Gott mit der Achtung der Zehn Gebote unserem Volk Segen über Segen geschenkt, Zucht und ehrbares Leben gewirkt, die Gewissen geweckt und zur Verantwortung vor ihm gerufen hat.
Solche Verachtung Gottes und seiner heiligen Gebote in unserem Volk und in unserer Kirche ist eine große, erschreckend wachsende Not und Schuld. Denn die Heilige Schrift warnt: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten“ (Gal. 6,7).
Wir dürfen Gottes Wort nicht verkehren, das Heilsame nicht unheilvoll, das allein Wahre nicht dumm und falsch nennen lassen. Wir dürfen nicht menschliche Gesetze und Ordnungen verherrlichen, als wären sie Gottes Werk. Die Kirche darf sich das Recht nicht nehmen lassen, Gottes heilige Gebote zu predigen. Nur wo sie die Übertretung der heiligen Gebote Gottes Sünde nennt, kann sie auch die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden, Heil und Seligkeit durch Christus verkündigen.
Denn Gott spricht: „Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse heißen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“ (Jesaja 5,20).
Darum: Wehe uns und unserem Volk, wenn wir, statt dem dreieinigen Gott die Ehre zu geben, menschliche Gedanken über Gott und Mächte dieser Welt zu selbstgewählten Göttern erheben. Denn Gott spricht: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn wir nicht mehr zu Gott beten oder das Beten gar als Kinderei verhöhnt wird, wenn der Name Gottes dazu mißbraucht wird, menschliche Gedanken zu verbrämen oder die Gemeinde des Herrn irre zu führen. Denn Gott spricht: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn die Heilige Schrift als Judenbuch verlästert, die Buße als unehrenhaft erklärt und die Vergebung der Sünden nicht gesucht wird, wenn die Gottesdienste gemieden, das heilige Predigtamt verachtet, wenn die Gläubigen gehindert werden, die Versammlung der Gemeinde zu suchen. Denn Gott spricht: „Du sollst den Feiertag heiligen.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn die Kinder in Gegensatz zu den Eltern gebracht, die Autorität der Eltern geschmälert und ihre von Gott gesetzte Erziehung untergraben wird, wenn die Alten nicht geachtet werden. Denn Gott spricht: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dir’s wohl gehe und du lange lebest auf Erden.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn das von Gott gegebene Leben für gering geachtet und der Mensch, nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen, nur nach seinem Nutzen bewertet wird; wenn es für berechtigt gilt, Menschen zu töten, weil sie für lebensunwert gelten oder einer anderen Rasse angehören, wenn Haß und Unbarmherzigkeit sich breit machen. Denn Gott spricht: „Du sollst nicht töten.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn die Ehe, die von Gott gestiftet und von Christus für untrennbar erklärt ist, aus menschlicher Willkür geschieden wird und wenn Gottes Wort „Seid fruchtbar und mehret euch“ von der heiligen Ordnung der Ehe getrennt und Zucht und Keuschheit für Muckerei erklärt werden. Denn Gott spricht: „Du sollst nicht ehebrechen.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn nach fremdem Eigentum gegriffen wird, wenn heidnische Furcht und Sorge „Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?“ die Menschen erfüllt. Denn Gott spricht: „Du sollst nicht stehlen.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn die Ehre des Menschen und sein guter Ruf verletzt werden, und wenn menschlichen Zwecken auch Unwahrhaftigkeit und Betrug dienen dürfen. Denn Gott spricht: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“
Wehe uns und unserem Volk, wenn Besitzgier und Genußsucht die Herzen bestimmt. Denn Gott spricht: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist.“
Gott warnt alle Menschen und vor allem uns Christen vor solch verderblicher Mißachtung und Verkehrung seiner heiligen Gebote. Er spricht: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der über die, so mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.“ Wir wollen uns auch an seine Verheißung erinnern lassen, wenn er spricht: „Aber denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied.“
Laßt uns bußfertig bekennen: Wir Christen sind mitschuldig an der Mißachtung und Verkehrung der heiligen Gebote. Wir haben oft geschwiegen, wir sind zu wenig, zu zaghaft oder gar nicht dafür eingetreten, daß die heiligen Gebote Gottes unbedingt gelten. Wir haben Gottes Drohung nicht ernst genommen. Wir haben aber auch für uns und unser Volk seine Verheißung nicht ernst genommen. Wie drohend ist für uns Gottes Wort über Esau: „Wisset aber, daß er hernach, da er den Segen ererben wollte, verworfen ward; denn er fand keinen Raum zur Buße, wiewohl er sie mit Tränen suchte!“ (Hebr. 12,17).
Darum wollen wir Gott um Vergebung bitten für alle unsere Mitschuld und nicht ablassen, Gottes heilige Gebote willig zu hören, ihnen zu gehorchen, sie unsere Jugend freudig zu lehren und sie öffentlich zu bezeugen.
„Gott dräuet zu strafen alle, die diese Gebote übertreten. Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun. Er verheißet aber Gnade und alles Gute allen, die solche Gebote halten. Darum sollen wir ihn auch lieben und vertrauen und gerne tun nach seinen Geboten.“
Beschlossen auf der 12. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union am 16./17. Oktober 1943 in Breslau.
Quelle: Joachim Beckmann (Hrsg.), Kirchliches Jahrbuch für die evangelische Kirche in Deutschland 1933-1944, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 21976, S. 387f.